To save content items to your account,
please confirm that you agree to abide by our usage policies.
If this is the first time you use this feature, you will be asked to authorise Cambridge Core to connect with your account.
Find out more about saving content to .
To save content items to your Kindle, first ensure no-reply@cambridge.org
is added to your Approved Personal Document E-mail List under your Personal Document Settings
on the Manage Your Content and Devices page of your Amazon account. Then enter the ‘name’ part
of your Kindle email address below.
Find out more about saving to your Kindle.
Note you can select to save to either the @free.kindle.com or @kindle.com variations.
‘@free.kindle.com’ emails are free but can only be saved to your device when it is connected to wi-fi.
‘@kindle.com’ emails can be delivered even when you are not connected to wi-fi, but note that service fees apply.
In allen modernen culturländern finden wir neben vielfacher mundartlicher verzweigung eine durch ein grosses gebiet verbreitete und allgemein anerkannte gemeinsprache. Wesen und bildung derselben zu betrachten ist eine aufgabe, die wir notwendigerweise bis zuletzt verschieben mussten. Wir betrachten wider zunächst die gegebenen verhältnisse, die sich unserer unmittelbaren beobachtung darbieten.
Wir sind bisher immer darauf aus gewesen die realen vorgänge des sprachlebens zu erfassen. Von anfang an haben wir uns klar gemacht, dass wir dabei mit dem, was die descriptive grammatik eine sprache nennt, mit der zusammenfassung des usuellen, überhaupt gar nicht rechnen dürfen als einer abstraction, die keine reale existenz hat. Die gemein sprache ist natürlich erst recht eine abstraction. Sie ist nicht ein complex von realen tatsachen, realen kräften, sondern nichts als eine ideale norm, die angibt wie gesprochen werden soll. Sie verhält sich zu der wirklichen sprachtätigkeit etwa wie ein gesetzbuch zu der gesammtheit des rechtslebens in dem gebiete, für welches das rechtsbuch gilt, oder wie ein glaubensbekenntniss, ein dogmatisches lehrbuch zu der gesammtheit der religiösen anschauungen und empfindungen.
Als eine solche norm ist die gemeinsprache wie ein gesetzbuch oder ein dogma an sich unveränderlich. Veränderlichkeit würde ürde ihrem wesen schnurstracks zuwider laufen. Wo eine veränderung vorgenommen wird, kann sie nur durch eine ausserhalb der norm stehende gewalt aufgedrängt werden, durch welche ein teil von ihr aufgehoben und dureh etwas anderes ersetzt wird. Die veranlassungen zu solchen veränderungen sind auf den verschiedenen culturgebieten analog.
Es ist, wie wir gesehen haben, im wesen der sprachent-wickelung begründet, dass sich in einem fort eine mehrheit von gleichbedeutenden wörtern, formen, constructionen herausbildet. Als die eine ursache dieser erscheinung haben wir die analogiebildung kennen gelernt, als eine zweite convergierende bedeutungsentwickelung von verschiedenen seiten her, wir können als dritte hinzufügen die aufnahme eines fremdwortes für einen begriff, der schon durch ein heimisches wort vertreten ist (vgl. vetler – cousin, base – cousine), unter welche categorie natürlich auch die entlehnung aus einem verwandten dialecte zu stellen ist.
So unvermeidlich aber die entstehung eines solchen überflusses ist, so wenig ist er im stande sich auf die dauer zu erhalten. Die sprache ist allem luxus abhold. Man darf mir nicht entgegen halten, dass sie dann auch die entstehung des luxus vermeiden würde. Es gibt in der sprache überhaupt keine präcaution gegen etwa eintretende übelstände, sondern nur reaction gegen schon vorhandene. Die individuen, welche das neue zu dem alten gleichbedeutenden hinzuschaffen, nehmen in dem augenblicke, wo sie dieses tun, auf das letztere keine rücksicht, indem es ihnen entweder unbekannt ist, oder wenigstens in dem betreffenden augenblicke nicht ins bewustsein tritt. In der regel sind es dann erst andere, die, indem sie das neue von diesem, das alte von jenem sprachgenossen hören, beides untermischt gebrauchen.
Unsere behauptung trifft wenigstens durchaus für die umgangssprache zu. Etwas anders verhält es sich mit der literatursprache, und zwar mit der poetischen noch mehr als mit der prosaischen.
Wir haben sehon widerholt veranlassung nehmen müssen den process der dialectspaltung zu berühren, besonders in dem capitel über den lautwandel. Man sollte erwarten, dass sich bei der betrachtung dieses processes mehr als irgend wo anders die analogieen aus der entwickelung der organischen natur aufdrängen müssten. Es ist zu verwundern, dass die Darwinisten unter den sprachforschern sich nicht vorzugsweise auf diese seite geworfen haben. Hier in der tat ist die parallele innerhalb gewisser grenzen eine berechtigte und lehrreiche. Wollen wir diese parallele ein wenig verfolgen, so kann es nur in der weise geschehen, dass wir die sprache des einzelnen, also die gesammtheit der sprachemittel über die er verfügt, dem tierischen oder pflanzlichen individuum gleich setzen, die dialecte, sprachen, sprachfamilien etc. den arten, gattungen, klassen des tier- und pflanzenreichs.
Es gilt zunächst in einem wichtigen punkte die vollständige gleichheit des verhältnisses anzuerkennen. Der grosse umschwung, welchen die zoologie in der neuesten zeit durchgemacht hat, beruht zum guten teile auf der erkenntniss, dass nichts reale existenz hat als die einzelnen individuen, dass die arten, gattungen, klassen nichts sind als zusammenfassungen und sonderungen des menschlichen verstandes, die je nach willkühr verschieden ausfallen können, dass artunterschiede und individuelle unterschiede nicht dem wesen, sondern nur dem grade nach verschieden sind. Auf eine entsprechende grundlage müssen wir uns auch bei der beurteilung der dialectunterschiede stellen. Wir müssen eigentlich so viele sprachen unterscheiden als es individuen gibt.
Wir haben es uns bisher zum gesetz gemacht uns unsere anschauungen über die sprachlichen vorgänge aus solchen beobachtungen zu bilden, die wir an der historisch deutlich zu verfolgenden entwickelung machen konnten, und erst von diesen aus rückschlüsse auf die urgeschichte der sprache zu machen. Wir müssen versuchen diesem principe auch bei der beurteilung der urschöpfung möglichst treu zu bleiben, wenn sich hier auch grössere schwierigkeiten in den weg stellen. Das ist zwar nicht gerade bei der syntaktischen urschöpfung der fall, wol aber bei der schöpfung neuen sprachstoffes.
Die letztere unmittelbar zu beobachten bietet sich uns nicht leicht die gelegenheit. Denn solche singulären fälle, von denen uns wol einmal berichtet wird, wie etwa die will-kürliche erfindung des wortes gas können nicht gerade viel aufschluss über die natürliche sprachentwickelung geben. So schwebt denn über dem vorgange ein gewisses mystisches dunkel, und es tauchen immer wider ansichten auf, die ihn auf ein eigentümliches vermögen der ursprünglichen menschheit zurückführen, welches jetzt verloren gegangen sein soll. Solche anschauungen müssen entschieden zurückgewiesen werden. Auch in der gegenwärtig bestehenden leiblichen und geistigen natur des menschen müssen alle bedingungen liegen, die zu primitiver sprachschöpfung erforderlich sind. Ja, wenn die geistigen anlagen sich zu höherer voll-kommenheit entwickelt haben, so werden wir daraus sogar die consequenz ziehen müssen, dass auch diese bedingungen jetzt in noch vollkommenerer weise vorhanden sind als zur zeit der ersten anfänge menschlicher sprache. Wenn wir im aligemeinen keinen neuen sprachstoff mehr schaffen, so liegt das einfach daran, dass das bedürfniss dazu nicht mehr vorhanden ist.
Im vorigen capitel haben wir gesehen, dass der zweckmässigkeit und symmetrie des formensystems im laut-wandel ein unaufhaltsam arbeitender feind und zerstörer gegenüber gestellt ist. Man kann sich schwer eine vorstellung davon machen, bis zu welchem grade der zusammenhangslosigkeit, verworrenheit und unverständlichkeit die sprache allmählig gelangen würde, wenn sie alle verheerungen des lautwandels geduldig ertragen müsste, wenn keine reaction dagegen möglich wäre. Ein mittel zu solcher reaction ist nun aber in der analogiebildung gegeben. Mit hülfe derselben arbeitet sich die sprache allmählig immer wider zu angemesseneren verhältnissen durch, zu festerem zusammenhalt und zweckmässigerer gruppierung in flexion und wortbildung. So sehen wir denn in der sprachgeschichte ein ewiges hin und herwogen zweier entgegengesetzter strömungen. Auf jede desorganisation folgt eine reorganisation. Je stärker die gruppen durch den laut-wandel angegriffen werden, um so lebendiger ist die tätigkeit der neuschöpfung.
Von den verschiedenen hierher gehörigen vorgängen betrachten wir zunächst einen, der gewöhnlich nicht als neuschöpfung angesehen wird, der aber in gewissem verstande als eine solche annerkannt werden muss. Wo einunddieselbe form unter dem einflusse verschiedener stellung inner halb des satzgefüges sich in mehrere verschiedene formen gespalten hat, geht der anfängliche unterschied in dér ver wendung dieser formen verloren, indem die eine form auch an solcher satzstelle gebraucht wird, an welcher die lautliche entwickelung zur erzeugung der andern geführt hat.
G. Curtius in seinen Studien 10, 205 ff. hat gezeigt, dass sich der auslaut der griechischen präpositionen sowie der des acc.
Wir haben gesehen, dass durch urschöpfung keine grammatische kategorie entsteht. Das ursprüngliche wort bezeichnet anschauung, der ursprüngliche satz eine verbindung von ansehauungen. Zur bezeichnung eines dinges, einer eigenschaft, einer tätigkeit, einer beziehung entwickelt sich das wort erst allmählig durch längeren traditionellen gebrauch; ebenso der satz erst allmählig zu einem gegliederten ganzen, in dem die einzelnen teile ihrer function noch differenziert sind. Diese entwickelung von wort und satz ist der nämliche process. Eben innerhalb des satzgefüges entwickeln sich die wortklassen, die redeteile, wie sie danach ganz passend benannt werden. Hand in hand mit der logischen differenzierung geht die sehöpfung lautlicher mittel zum sinnlichen ausdruck der differenzen. Wie diese vor sich geht, ist schon in cap. IX gezeigt worden. Wir haben es dort hauptsächlich mit der negativen seite der entwickelung zu tun gehabt; hier wird uns die positive seite beschäftigen. Wir gehen dabei wider von vorgängen aus, die unserer beobachtung zugänglich sind.
Betrachten wir die verhältnisse in den nach dieser richtung am weitesten entwickelten sprachen, den indogermanischen, so muss zunächst bemerkt werden, dass die übliche unterscheidung der redeteile, wie sie von den antiken grammatikern übernommen ist, besonders an einem starken logischen fehler leidet. Wenn man beim nomen eine dreiteilung macht, substantivum, adjectivum und pronomen, oder vielleicht gar als viertes das zahlwort hinzufügt, so liegt darin eine vermischung zwei ganz versehiedener einteilungsprincipien. Der gegensatz von substantivum und adjectivum geht auch durch die pronomina und zahlwörter hindurch; in einem satze wie jeder spricht oder welcher spricht sind jeder und welcher substantiva, in einem satze wie jeder (welcher) mensch spricht sind jeder und welcher adjectiva.
Um die erscheinung zu begreifen, die man als lautwandel zu bezeichnen pflegt, muss man sich die physischen und psychischen processe klar machen, welche immerfort bei der hervorbringung der lautcomplexe stattfinden. Sehen wir, wie wir hier dürfen und müssen, von der function ab, welcher dieselben dienen, so ist es folgendes, was in betracht kommt: erstens die bewegungen der sprechorgane, wie sie vermittelst erregung der motorischen nerven und der dadurch hervorgerufenen muskeltätigkeit zu stande kommen; zweitens die reihe von empfindungen, von welchen diese bewegungen notwendigerweise begleitet sind, das bewegungsgefühl, wie es Steinthal nennt; drittens die in den hörern, wozu unter normalen verhältnissen allemal auch der sprechende selbat gehört, erzeugten tonempfindungen. Diese empfindungen sind natürlich nicht bloss physiologische, sondern auch psychologische processe. Auch nachdem die physische erregung geschwunden ist, hinterlassen sie eine bleibende psychische wirkung, erinnerungsbilder, die von der höchsten wichtigkeit für den lautwandel sind. Denn sie allein sind es, welche die an sich vereinzelten physiologischen vorgänge unter einander verbinden, einen causalzusammenhang zwischen der frühern und spätern production des gleichen lautcomplexes herstellen. Das erinnerungsbild, welches die empfindung der früher ausgeführten bewegungen hinterlassen hat, ist es, vermittelst dessen die reproduction der gleichen bewegungen möglich ist. Bewegungsgefühl und tonempfindung brauchen in keinem innern zusammen hange unter einander zu stehen. Beide gehen aber eine äusserliche association ein, indem der sprechende zugleichsich selbst reden hört. Durch das blosse anhören anderer wird das bewegungsgefühl nicht gegeben, und somit auch nicht die fähigkeit den gehörten laut-complex zu reproducieren, weshalb es denn immer erst eines suchens, einer einübung bedarf, um imstande zu sein einen laut, den man bis dahin nicht zu sprechen gewohnt ist, nachzusprechen.
Die bildung der im vorigen capitel besprochenen gruppen muss, wie wir gesehen haben, von jedem individuum einer sprachgenossenschaft besonders vollzogen werden. Sie sind also durchaus subjectiver natur. Da aber die elemente, aus denen sie sich zusammensetzen, innerhalb einer bestimmten verkehrsgemeinschaft, im grossen und ganzen die nämlichen sind, so muss auch die gruppen-bildung bei allen der verkehrsgemeinschaft angehörigen individuen vermöge der wesentlichen übereinstimmung ihrer psychischen organisation eine analoge sein. Wie wir daher überhaupt nach einem gewissen durchschnitt das in einer bestimmten periode allgemein übliche darstellen, so sind wir auch imstande für jede entwickelungsperiode einer sprache ein im wesentlichen allgemeingültiges system der gruppierung aufzustellen. Gerade nur dieses allgemeine im wesen der elemente, aus denen sich die gruppen zusammensetzen, begründete ist es, woran sich die wissenschaftliche betrachtung halten kann, während die individuellen besonderheiten von einzelnen, in der grossen masse verschwindenden ausnahmen abgesehen, sich der beobachtung entziehen.
Vergleichen wir nun unsere abstractionen über die gruppierung aus verschiedenen zeiten mit einander, so gewahren wir beträchtliche verschiedenheiten, und zwar nicht bloss insofern, als eine anzahl elemente verloren gegangen, andere neu entstanden sind; sondern auch da, wo sich die alten elemente erhalten haben), gruppieren sie sich doch anders in folge einer veränderung, welche die laut-form oder die bedeutung oder beides durchgemacht hat. Was sich früher fest aneinander schloss, hängt jetzt nur noch lose oder gar nicht mehr zusammen. Was früher keinen zusammenhang hatte, hat sich jetzt zusammengefunden.
Wenn man sämmtliche die gleiche wurzel enthaltenden wörter und formen nach den ursprünglichen bildungsgesetzen, wie sie durch die zergliedernde methode der älteren vergleichenden grammatik gefunden sind, zusammenordnet, so erhält man ein mannigfach gegliedertes system oder ein grösseres system von kleineren systemen, die ihrerseits wider aus systemen bestehen können. Schon ein einziges indogermanisches verbum für sich stellt ein sehr compliciertes system dar. Aus dem verbalstamme haben sich verschiedene tempusstämme, aus jedem tempusstamme verschiedene modi, erst daraus die verschiedenen personen in den beiden genera entwickelt. Die analytische grammatik ist bemüht immer das dem ursprunge nach nächst verwandte von dem erst in einem entfernteren grade verwandten zu sondern, immer zwischen grundwort und ableitung zu scheiden, alle sprünge zu vermeiden und nicht etwas als directe ableitung zu fassen, was erst ableitung aus einer ableitung ist. Was aber von ihrem gesichtspuncte aus ein fehler in der beurteilung der wort und formenbildung ist, das ist etwas, dem das sprachbewustsein unendlich oft ausgesetzt ist. Es ist ganz unvermeidlich, dass die art, wie sich die etymologisch zusammengehörigen formen in der seele der sprachangehörigen unter einander gruppieren, in einer späteren periode vielfach etwas anders ausfallen muss als in der zeit, wo die formen zuerst gebildet wurden. Und die folge davon ist, dass auch die auf solcher abweichenden gruppierung beruhende analogiebildung aus dem gleise der ursprünglichen bildungsgesetze heraustritt. Secundärer zusammenfall von laut und bedeutung ist dabei vielfach im spiel. Welche wichtige rolle dieser vorgang in der sprachgeschichte spielt, mag eine reihe von beispielen lehren.
Ueber die abweichungen der sprachlichen zustände in der vergangenheit von denen in der gegenwart haben wir keinerlei kunde, die uns nicht durch das medium der schrift zugekommen wäre. Es ist wichtig für jeden sprachforscher niemals aus den augen zu verlieren, dass das geschriebene nicht die sprache selbst ist, dass die in schrift umgesetzte sprache immer erst einer rückumsetzung bedarf, ehe man mit ihr rechnen kann. Diese rückumsetzung ist nur in unvollkommener weise möglich (auch dessen muss man sich stets bewust bleiben), soweit sie aber überhaupt möglich ist, ist sie eine kunst, die gelernt sein will, wobei die unbefangene beobachtung des verhältnisses von schrift und aussprache, wie es gegenwärtig bei den verschiedenen völkern besteht, grosse dienste leistet.
Die schrift ist aber nicht bloss wegen dieser vermittlerrolle object für den sprachforscher, sie ist es auch als ein wichtiger factor in der sprachentwickelung selbst, den wir bisher absichtlich nicht berücksichtigt haben. Umfang und grenzen ihrer wirksamkeit zu bestimmen ist eine aufgabe, die uns noch übrig bleibt.
Die vorteile, welche die geschriebene vor der gesprochenenrede in bezug auf wirkungsfähigkeit voraus hat, liegen auf der hand. Durch sie kann der enge kreis, auf den sonst der einfluss des individuums beschränkt ist, bis zur weite der ganzen sprachgenossenschaft anwachsen, durch sie kann er sich über die lebende generation hinaus, und zwar unmittelbar auf alle nachfolgenden verbreiten. Es ist kein wunder, dass diese in die augen stechenden vorzüge gewöhnlich bei weitem überschätzt werden, auch in der sprachwissenschaft überschätzt sind, weil es etwas mehr nachdenken erfordert sich auch die jenigen punkte klar zu machen, in denen die schrift hinter der lebendigen rede zurückbleibt.
Wie schon mehrfach hervorgehoben ist, beruht jeder zusammenhang einer späteren sprachtätigkeit mit einer früheren auf dem bestande gewisser vorstellungsgruppen, die sich in dem dunkeln raume des unbewusten gelagert haben. Diese gruppen sind die eigentlich wirksamen mächte bei jedem akte des sprachlebens, der nicht im eigentlichsten sinne eine neuschöpfung ist. Von grosser wichtigkeit ist es nun zu unterscheiden zwischen solchen gruppen, die gewissermassen von aussen gegeben sind, indem die räumliche und zeitliche anordnung der objecte eine entsprechende anordnung der auf sie bezüglichen vorstellungen hervorruft, und solchen, die sich erst durch gegenseitige attraction der vorstellungen in der seele herausbilden. Ist nur die erstere art von gruppen wirksam, so können wir das sprechen als eine blosse reproduction betrachten. Wirkt aber auch die andere, so müssen wir eine productive tätigkeit der seele anerkennen.
Die perception durch das gehör liefert der seele reihen von lautbildern, also worte, wortgruppen, sätze. Durch eigene übung im sprechen kommen reihen von bewegungsgefühlen hinzu, die sich mit den entsprechenden lautbilderreihen verbinden. Und weiter reihen sich daran die vorstellungen und vorstellungsgruppen an, die wir als die bedeutung der wörter und sätze bezeichnen. Es ist aber immer nur die im einzelnen falle stattfindende concrete beziehung, die unmittelbar durch gleichzeitige perception mit den lautbilderreihen verknüpft wird. Dagegen werden auf diesem wege in der regel keine vorstellungen über den umfang der beziehungen gegeben, in die ein wort oder eine redewendung dem usus nach gesetzt werden kann.
Die sprache ist wie jedes erzeugniss menschlicher cultur ein gegenstand der geschichtlichen betrachtung; aber wie jedem zweige der geschichtswissenschaft so muss auch der sprachgeschichte eine wissenschaft zur seite stehen, welche sich mit den allgmeinen lebensbedingungen des geschichtlich sich entwickelnden objectes beschäftigt, welche die in allem wechsel sich gleich bleibenden factoren nach ihrer natur und wirksamkeit untersucht. Es fehlt für diese wissenschaft eine allgemein gültige und passende bezeichnung. Unter sprachphilosophie versteht man in der regel doch etwas anderes. Und ausserdem dürfte es vielleicht aus einem grunde geraten sein diesen ausdruck lieber zu vermeiden. Unser unphilosophisches zeitalter wittert darunter leicht metaphysische speculationen, von denen die historische sprachforschung keine notiz zu nehmen brauche. In wahrheit aber ist das, was wir im sinne haben, nicht mehr und nicht minder philosophie als etwa die physik oder die physiologie. Am allerwenigsten darf man diesem allgemeinen teil der sprachwissenschaft den historischen als den empirischen gegenüberstellen. Der eine ist gerade so empirisch wie der andere.
Nur selten genügt es zum verständniss der geschichtlichen entwickelung eines gegenstandes die gesetze einer einzelnen einfachen experimentalwissenschaft zu kennen; vielmehr liegt es in der natur aller geschichtlichen bewegung, zumal wo es sich um irgend einen zweig menschlicher cultur handelt, dass dabei sehr verschiedenartige kräfte, deren wesen zu ergründen die aufgabe sehr verschiedener wissenschaften ist, gleichzeitig in stätiger wechselwirkung ihr spiel treiben. Es ist somit natürlich, dass eine solche allgemeine wissenschaft, wie sie einer jeden historischen wissenschaft als genaues pendant gegenübersteht, nicht ein derartig abgeschlossenes ganzes darstellen kann, wie die sogenannten exacten naturwissenschaften, die mathematik oder die psychologie.
Wir haben bisher fast nur die nachteiligen wirkungen der isolierung ins auge gefasst. Sie erschien uns als eine zerstörende kraft, als die feindin aller ordnung und zweckmässigkeit. Man würde aber sehr irren, wenn man ihre bedeutung für die sprachgeschichte nur in dieser negativen seite sehen wollte. Sie hat vielmehr auch einen entschieden positiven wert, ja sie ist ganz unentbehrlich für jede höhere entwickelung. Aller fortschritt, der über die primitivsten anfänge der sprachtätigkeit hinaus gemacht wird, ist nur so möglich, dass mittelbare psychische verbindungen allmählig zu unmittelharen werden. Damit aber ist der ansatz gemacht das neuangeknüpfte gegen das mittelglied in unserem sinne zu isolieren. Die heilsamkeit dieser isolierung liegt auf der hand. Wie entsetzlich hemmend wäre es, wenn jeder einzelne, um einen ausdruck für seine gedanken zu finden oder die rede eines andern zu verstehen, immer die ganze kette von zwischengliedern zu durchlaufen hätte, die in der historischen entwickelung durchlaufen ist, bevor gerade die und die beziehung zwischen lautgestalt und bedeutung zu stande kam. Oder vielmehr wie wäre es überhaupt möglich gewesen eine so lange kette zu durchlaufen, wie es vielfach geschehen ist? Würde nicht vielmehr die entwickelung sehr bald zum stillstand gekommen sein, weil die psychischen kräfte zu einer verlängerung der kette nicht ausgereicht hätten?
Der fördernde einfluss der isolierung zeigt sich zunächst in der entwickelung der wortbedeutung. Die mannigfaltigkeit der dem menschen sich nach und nach aufdrängenden vorstellungen ist eine unbegrenzte.
Es ist von fundamentaler bedeutung für den geschichtsforscher, dass er sich umfang und natur des gegenstandes genau klar macht, dessen entwickelung er zu untersuchen hat. Man hält das leicht für eine selbstverständliche sache, in bezug auf welche man gar nicht irre gehen könne. Und doch liegt gerade hier der punkt, in welchem die sprachwissenschaft die versäumniss von decennien eben erst anfängt nachzuholen.
Die historische grammatik ist aus der älteren bloss descriptiven grammatik hervorgegangen, und sie hat noch sehr vieles von derselben beibehalten. Wenigstens in der zusammenfassenden darstellung hat sie durchaus die alte form bewahrt. Sie hat nur eine reihe von descriptiven grammatiken parallel an einander gefügt. Das vergleichen, nicht die darlegung der entwickelung ist zunächst als das eigentliche charakteristikum der neuen wissenschaft aufgefasst. Man hat die vergleichende grammatik, die sich mit dem gegenseitigen verhältniss verwandter sprachfamilien beschäftigt, deren gemeinsame quelle für uns verloren gegangen ist, sogar in gegensatz zu der historischen gesetzt, die von einem durch die überlieferung gegebenen ausgangspunkte die weiterent-wickelung verfolgt. Und noch immer liegt vielen sprach-forschern und philologen der gedanke sehr fern, dass beides nur einunddieselbe wissenschaft ist, mit der gleichen aufgabe, der gleichen methode, nur dass das verhältniss zwischen dem durch überlieferung gegebenen und der combinatorischen tätigkeit sich verschieden gestaltet. Aber auch auf dem gebiete der historischen grammatik im engeren sinne hat man die selbe art des vergleichens angewandt: man hat descriptive grammatiken verschiedener perioden an einander gereiht.